Farben sind für alle da?

Farben sind für alle da?

 

Wie wichtig das Geschlecht eines Menschen ist, lerne ich bei Karstadt. Da stehe ich, gerade frisch schwanger, und möchte ein Kleidungsstück für das Kind in meinem Bauch kaufen. Einen Strampler, ein paar Söckchen, eine Mütze – irgendwas, damit ich meiner Vorfreude auch in die Hand nehmen kann.

Völlig überraschend für mich ist die Kinderabteilung zweigeteilt. Ich muss mich entscheiden zwischen hellblau und rosa, zwischen Jungs und Mädchen. Ob es denn nicht auch eine Ecke mit bunten Klamotten „einfach nur für Kinder“ gibt, frage ich die Verkäuferin. Die aber schaut mich entgeistert an und erklärt mir, dass „man das jetzt eben so hat“.

Nach langer Suche finde ich ein gelbes T-Shirt mit Elefantendruck, mit dem ich versuche, mich dem Diktat der geschlechtertrennenden Kleidung zu entziehen. Den Rest kaufe ich trotzig gebraucht – bunt gemischt. Ich bin hochgradig angepisst, weil ich mir noch vorschreiben lassen will, in welchen Farbtönen ich meine Tochter kleide.

Schnell dämmert mir, dass die Kinderabteilung bei Karstadt nur ein leiser Vorgeschmack auf das ist, was mich zukünftig erwartet. Ich bin nicht einfach nur Mutter, ich bin Mädchenmutter. Da gelten offenbar ganz eigene Spielregeln.

Farben sind für alle da?

Die Welt scheint zweigeteilt. Es gibt Kleidung für Jungs und Kleidung für Mädchen. Es gibt Spielsachen in rosa und hellblau. Es gibt Orte für jedes Geschlecht. Passende Hobbys. Selbst Dinge wie Überraschungseier, Lego und Playmobil, die sich in meiner Kindheit unterschiedslos an Kinder beider Geschlechter richteten, gibt es nun in rosa und hellblau. In „für Jungs“ und „für Mädchen“.

Plötzlich bin ich hineingeworfen in eine für mich fremde Welt. Eine Welt, in der zum Teil penibel darauf geachtet wird, dass die Grenze zwischen hellblau und rosa nicht verschwimmen. Eine Welt, in der Eltern stolz sind, wenn ihre Kinder eine „richtige Prinzessin“ oder ein „richtiger Kerl“ werden. Eine Welt, die hochgradig einschränkend ist.

Denn, mal ehrlich: in den rosa Überraschungseiern sind eben keine wilden Piraten oder Dinosaurier, sondern nette kleine Feen oder niedliche Pferdchen. In der „blauen Ecke“ der Spielzeugabteilung finden wir keine Puppen oder Kochtöpfe, keine Besen oder Armbänder – sondern Bohrmaschinen, Autos und Maschinen,

Wir haben also nicht nur zufällig die Welt der Kinder in unterschiedliche Farben getaucht, sondern damit auch festgelegt, wer womit spielt. Das prägt.

 

Mich ärgert das!

 

Weil ich aus der Not heraus sehr konsequent beginnen muss, meine Tochter in der Jungsabteilung einzukleiden. Nicht etwa nur, weil ich trotzig bin. Die Mädchenhosen sind – aus welchen Gründen auch immer – so eng geschnitten, dass meine Tochter damit nicht bequem spielen oder toben kann. Völlig überraschend für mich leben ich nun in einer Welt, die Bewegungsfreiheit und Bequemlichkeit offenbar nur für Jungs vorsieht. Wo Mädchen „einfach nur gut aussehen“ müssen und vor allem nicht auf Bäume klettern (wie auch, in DIESEN Hosen???)

Ich muss an das Zitat von Simone de Beauvoire denken: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“

Wie recht sie hatte, diese kluge, wunderbare Frau! Ich erschrecke angesichts der festgeschrieben und engen Rollenbilder, die unseren Kindern übergestülpt werden. Und frage mich, was die Generation unserer Mütter, die entschlossen für Gleichberechtigung, für Chancengleichheit und Wahlfreiheit kämpfte, überhaupt erreicht hat.

Ich scheine in einer paradoxen Welt gelandet zu sein, in der Väter zwar immer öfter Elternzeit nehmen und Care-Arbeit nachgehen, in der Gleichberechtigung zwischen Elternteilen zwar nicht befriedigend gelebt, aber immerhin thematisiert wird – und auf der anderen Seite die Rollenklischees nach allen Regeln der Kunst zementiert werden – schon im Kindergarten!

Manchmal frage ich mich, ob das leise Aufweichen der klassichen Rollenbilder bei uns Erwachsenen dazu führt? Ob wir im Kleinen, bei den eigenen Kindern, ein Stück Ordnung wieder herstellen wollen? Und diese klare Trennung zwischen rosa und hellblau uns Sicherheit gibt in einer Welt, die sich schneller verändert, als manchem lieb ist?

 

Ich weiß es nicht.

 

Und immer noch habe ich keine Ahnung, was mich erwarten wird. Der Job, Mutter einer auf Bäumen kletternden Tochter in Jungshosen zu sein, ist lächerlich einfach gegen das, was später auf mich zukommt. Als Jungsmutter. Konkret als Mutter eines Sohnes, der rosa mag und mit Puppen spielt, der liebend gern in schwingenden Röcken tanzt und reiten lernen möchte. Einem Kind also, das sich in der „falschen“ Ecke der Spielzeug- und Klamottenabteilung zu Hause fühlt.

Eine Grenzüberschreitung nach der anderen. Und zwar in die GANZ falsche Richtung! Zu meiner Überraschung sind es vor allem die Kinder, die auf Einhaltung der Konventionen pochen. Denn während man meine Tochter wahlweise belächelt oder beklatscht, als Pippi Langstrumpf oder Räubertochter tituliert hat, sind Jungs in Mädchensachen völlig indiskutabel. Das ist nicht feminin oder kreativ – in den Köpfen der anderen ist das einfach nur Scheiße. Leider behalten sie ihre Gedanken nicht für sich.

Mein Sohn leidet. Und TROTZ Gesprächen und Rückenstärkung, trotz Erklärungen und einem Vater, der ebenfalls rosafarbene Hemden trägt, lernt auch er, was „richtig“ ist. Seine rosa Lieblingssocken trägt er nur noch zu Hause, nicht mehr im Kindergarten, wo die anderen lachen. Er steht überzeugt ein dafür, dass Farben für alle da sind. Aber er hat nicht mehr den Mut, dieses Wissen auch nach außen zu leben.

Da kann man sich schon mal fragen, warum wir uns fürsorgliche, empathische Väter wünschen und Puppen leider nur für unsere Töchter kaufen. Da kann man es absurd finden, dass wir uns über zu wenig Frauen in „Männerberufen“ beklagen beklagen – und TROTZDEM regelmäßig erklären, dass Jungen eben einfach gut in Mathe sind und Mädchen sauber ausmalen. Vor allem kann man sich darüber wundern, warum wir nicht alle aufstehen und auf den Tisch hauen, wenn Rollenklischees aus den 50ern unseren eigenen Kindern übergestülpt werden.

 

Wahlfreiheit statt Einschränkungen

 

An alle, die jetzt finden, ich stelle mich an und betonen, ihre Töchter wären aber sehr wohl glücklich in ihrer rosa Feenwelt: das ist völlig in Ordnung so. Ich habe weder etwas gegen rosa, noch gegen Feen. Nur ärgere ich mich einfach, wenn die rosa Feenwelt neben der fliederfarbenen Puppenwelt das Einzige ist, was wir unseren Töchtern anbieten. Denn das Leben hat weit mehr zu bieten!

Vielleicht ja wären unsere Töchter glücklich mit Bohrmaschinen, Spielzeugpistolen oder Piratensäbeln? Vielleicht würden sie an Karneval das Feuerwehrkostüm Prinzessin Elsa vorziehen?

Vielleicht wären unsere Söhne begeisterte Pupenväter? Und würden es lieben, sich zu schminken und zu schmücken?

WISSEN wir wirklich, was unsere Kinder wählen würden, wenn sie das einfach tun könnten? Ohne Bewertung, ohne Einschränkungen, ohne irgendwen damit vor den Kopf zu stoßen? Und ohne postwendend von irgendwem sanktioniert zu werden, weil sie nicht dem entsprechen, was „normal“ ist?

Gerne können wir uns an dieser Stelle auch fragen, wie viel Rollenvorbilder im Kindergarten ein Vierjähriger hat, der mit einem rosa Paw Patrol Pullover einmarschiert. Wir dürfen gerne auch überlegen, wie die Reaktionen wohl darauf ausfallen?

Genau, im besten Fall sagen die anderen Kinder einfach nichts. (Kurze Anmerkung: dieser Fall ist nicht sehr wahrscheinlich)

Versteht mich nicht falsch: ich habe rein gar nichts gegen rosa. Nur ist rosa einfach für alle da. Für Jungs UND für Mädchen. Gleiches gilt für Einhörner, Monstertrucks und Glitzerklamotten.

Wir haben Grenzen im Kopf. In UNSEREN Köpfen. Sorgen wir wenigstens dafür, sie nicht auch noch an unsere Kinder weiterzugeben.

 

Zwei wunderbare Kinderbücher zum Thema habe ich gerade im Blog besprochen. Lest selbst:

Alles rosa

Puppen sind doch nichts für Jungen!

 

 

 

 

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