Schönheit ist vielfältig – oder: warum uns Heidi wieder nicht ins Wohnzimmer kommt

Unser Körper gehört zu den wenigen Bereichen, in denen wir eine Grundausstattung erhalten, ohne mitreden zu können. Haar-, Körper- oder Augenfarbe ist gegeben – ebenso die Veranlagung, ob wir uns eher lang und dünn oder rundlich durchs Leben laufen. Die Grundausstattung ist nicht verhandelbar – keine Option wie beim Autokauf, ein anderes Modell zu wählen oder das Ganze durch ein Ausstattungspaket zu pimpen. Viele Menschen finden das schade – ist aber trotzdem so.

Während wir es manchmal bedauern, dass die Automobilbranche zunehmend zum Einheitsbrei verkommt und sowohl Hersteller, als auch Modelle austauschbar werden – wünschen wir uns bei unseren Körpern nichts mehr als Einheitlichkeit. Hätten wir die Wahl: ich bin mir sicher, die meisten von uns würden sich dafür entscheiden, ein bißchen mehr so wie die Frauen in der Werbung herumzulaufen: schlanker, glatter, faltenfreier – einfach „perfekter“. Einer repräsentativen Umfrage zufolge sind 91% (!!!) aller Frauen mit ihrem Körper unzufrieden.Im Klartext: nahezu alle Frauen finden ihren Körper mangelhaft. Übrigens auch Frauen, deren Körper wir in Werbeanzeigen oder Filmen bewundern.

Denn es geht immer besser, glatter oder schöner

Wir vergleichen uns. Ständig. Blöd nur, dass die Vorbilder längst keine echten Menschen mehr sind, sondern eine mit Photoshop verbesserte Version ihrer Selbst. Ein unerreichbares Ideal also und gleichzeitig Erklärung, warum heute viel mehr Frauen und junge Mädchen an ihrem Körper zweifeln, also noch vor zehn Jahren.

Offensichtlich ist „einfach nur schön“ schon lange nicht mehr schön genug. Das macht etwas in uns. Weil wir hungern und sporteln können, wie wir wollen – wir bekommen trotzdem keine Lücke zwischen den Schenkeln, die sich Stars und Sternchen einfach zurechtretuschieren lassen. Wir können uns auf den Kopf stellen – aber der Versuch, so auszusehen wie die Mädchen aus der Bikiniwerbung, grenzt angesichts mit Photoshop verlängerter Beine und optimierter Proportionen an die Quadratur des Kreises.

Was also tun? Das Spiel mitspielen?

Mit allen Mitteln unerreichbaren Idealen hinterher laufen auf die Gefahr hin, Zeit, Geld und ein zufriedenes Lebensgefühl aufzugeben? Nur, um am Ende die schlechte Kopie eines künstlich geschaffenen Ideals zu sein?

Über 80% der Frauen haben in den letzten zwei Jahren eine Diät zur Gewichtsreduzierung gemacht. Acht von zehn Frauen finden ihren Körper also zu dick. Wenn man bedenkt, dass laut  Gesellschaft für Ernährung lediglich 37% der Frauen übergewichtig sind, gibt es ganz schön viele Frauen, die einen gesunden, normalgewichtigen Körper mit einer Diät bearbeiten.

Für einen perfekten Körper würden laut einer Umfrage 26 Prozent der Frauen 30 000€ in bar ausschlagen, um sich damit lieber die Problemzonen beseitigen zu lassen.Nichts gegen Schönheits-OPs. Ich will das gar nicht werten. Schließlich muss jeder selbst entscheiden, ob er seinen Körper operativ verändern will – oder eben auch nicht.

Bemisst sich der Wert eines Menschen in Kilos?

Für mich ist das nichts. Nicht nur, weil ich für die 30 000€ definitiv bessere Verwendungszwecke hätte. Ich will meinem Körper auch kein unnötigs OP-Risiko aussetzen und mich annehmen, wie ich bin. Ich habe ja schließlich nur diesen einen Körper, der mir täglich gute Dienste leistet. Ich will ihn nicht hassen.

Hauptgrund für mich, Frieden zu schließen mit kurzen Beinen und winzigen Brüsten, Streifen, Delllen und lauter kleinen Einzigartigkeiten: ich bin Mutter. Heißt konkret: ich bin Vorbild und muss mich an meinem eigenen Handeln messen lassen. Wie sonst kann ich meinen Kindern glaubhaft vermitteln, dass sie – egal welche Maße, Gewichte oder Haare sie haben – wunderschöne, einzigartige und liebenswerte Menschen sind? Warum sollten sie mir glauben, dass der Wert eines Menschen nicht in Kilos oder Konfektionsgrößen bemessen wird? Und wie sonst kann ich bei der Aussage: „du bist gut, WEIL du bist!“ überhaupt glaubwürdig bleiben?

Wenn Pubertät auf Photoshop trifft

Es ist schon schwer genug. Gerade dann, wenn sich der Körper unserer Kinder am meisten verändert. Wenn die Verunsicherung groß und das Körpergefühl nahezu täglich ein anderes ist. Gerade dann, wenn unsere Kinder eigentlich gestärkt werden müssten, wenn sie erfahren müssten, wie vielfältig Schönheit sein kann. Und wie wenig dieser Begriff mit einem BMI oder dem perfekten Make-Up zu tun hat. Gerade dann treffen unsere Kinder ununterbrochen auf zweifelhafte Ideale, trifft Pubertät auf Photoshop.

Dann treffen unsere Kinder auf künstlich aufgehübschte Models und wenig hilfreiche Tipps in Zeitschriften. Auf Youtuber, die suggerieren, dass wir nur mit Kosmetikprodukten bestimmter Hersteller, monatlich wechselnder Modetrends oder dem aufwändigsten Workout aller Zeiten überhaupt in Ansätzen schön sein können. Sie treffen auf Nacktheit an Plakatwänden, die mehr aus Pixeln zu bestehen scheint, als aus echten Körpern.

Wen wundert es also, dass ein Fünftel aller Siebenjährigen Mädchen abnehmen will? Dass 42% der 11 bis 16jährigen sich für ihren Körper schämen? Und 66% der 17 bis 21jährigen sich nicht hübsch genug findet?

Platzverweis für Heidi

Ich kann keine Plakatwände abreißen und auch nicht das Werbefernsehen ändern. Ich kann weder Hersteller zwingen, nur noch normalgewichtige Models zu buchen, noch, diese im Nachgang nicht mit Photoshop zu „verschönern“. Nein, ich kann die Welt komplett ändern. Auch dann nicht, wenn ich Mutter bin und gute Gründe habe.

Was ich aber kann: meine Tochter begleiten bei dem, was sie täglich neu an Unsinn sieht und erlebt. Ich kann hinterfragen, was als Ideal vermittelt wird. Ich kann Vorbild sein. Hinsehen, hinhören, auffangen. Ich kann meinen Kindern vermitteln, dass der Wert eines Menschen weder im Aussehen, noch in Leistung bemessen wird. Und ich kann dafür sorgen, dass fragwürdige Formate wie Germanys next Topmodel in unserem Wohnzimmer keinen Platz finden.

Man mag Heidi Klums Sendung einen guten Unterhaltungswert zusprechen. Man mag es spannend finden, wie junge Mädchen um den Titel der schönsten, makellosesten oder bikinitauglichsten Figur wetteifern. Man mag sich, wenn schlanken, schönen Frauen erklärt wird, sie seien leider noch zu dick, um groß im Geschäft mitspielen zu können, das Ganze schönreden und sagen, sie hätten sich ja selbst darauf eingelassen.

Klar, kann man alles machen

muss man aber nicht, wenn ihr mich fragt. Vor allem muss man seinen Töchtern nicht auch noch, als gute Untehaltung getarnt, ein schlechtes Selbstbild und Komplexe mitgeben. Vermutlich wäre hier im Haus die Entscheidung schwieriger, die Gespräche länger und das Abwägen größer, wenn meine Tochter das dringende Bedürfnis verspüren würde, sich dieses Format am TV reinzuziehen. Ein Glück, dass sie andere Sendungen bevorzugt! Es gibt ja schließlich auch unzählige Sendungen, die es schaffen, mit weniger zweifelhaften Botschaften für gute Unterhaltung zu sorgen.

Insofern, auch in diesem Jahr wieder:

#notheidisgirl

Hier findet ihr übrigens meinen Beitrag vom letzten Jahr zum Thema. 😉

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