„JA“ oder „NEIN“?

 

Es gibt keine Wörter, die mehr in der Erziehung polarisieren als „JA“ uns „NEIN“.

Die einen tun sich schwer mit dem „JA“ – die anderen haben ganz fürchterlich Angst vor dem „NEIN“.

Zentral bei den Eltern der ersten Gruppe ist die Angst, das Kind mit dem „JA“ zu verwöhnen und ihm „zu viel“ zu geben: zu viel an Liebe oder Aufmerksamkeit, an Süßigkeiten, Wohlwollen oder dem eigenen Willen. Befürchtet wird ein Zustand der Grenzenlosigkeit oder gar Anarchie und dem Komplettverlust jeglicher elterlicher Autorität. Gleich dem Motto „gib ihnen den Finger – und sie wollen die ganze Hand“, befürchten wir mit einem „JA“ verzogene Kinder, die unzufrieden sind und immer mehr fordern.

Dabei ist das „JA“ eines der wichtigsten Wörter überhaupt – nicht nur für Kinder!

2016-07-22 15.51.59

Es ist ein Grundbedürfnis – von uns allen!!! – dass jemand „JA“ sagt zu unserer Existenz und all dem, was uns ausmacht.

Wir alle brauchen, über den Tag verteilt, viele kleine „JAs“ – sei es in Form von Umarmungen oder Wertschätzungen, Liebkosungen oder dem konkreten Eingehen auf unsere Wünsche oder Bedürfnisse. Nur so kann es uns dauerhaft gut gehen. Nur so fühlen wir uns geliebt und angenommen.

Wir alle wissen, wie es sich anfühlen kann, wenn das nicht der Fall ist. Und wie wir reagieren, wenn wir viel zu selten ein „JA“ und immer mehr ein „NEIN“ hören.

Kinder können nicht kündigen

Passiert uns das in unserer Ehe / Beziehung oder einer Freundschaft, können wir handeln: wir können auf Augenhöhe miteinander sprechen und mitteilen, dass wir in unseren Bedürfnissen nicht ernst genommen werden. Wir können uns ärgern und unserem Frust offen Luft machen. Am Ende können wir sogar Freundschaften aufkündigen oder unseren Partner verlassen, weil dieser uns auf Dauer nicht gut tut. Letzteres ist zugegebenermaßen ein teures uns anstrengendes Szenario, aber immerhin möglich!

Unsere Kinder können das nicht.

Sie sind von uns abhängig und können sich nicht auf Augenhöhe beschweren, wenn sie viel zu selten die Erfahrung eines liebevollen „JAs“ machen. Wenn sie ihrem Ärger Luft machen, sanktionieren wir ihr Verhalten und werfen ihnen vor, ungezogene, anstrengende Kinder zu sein. Unsere Kinder können nicht mal eben den eigenen Eltern kündigen und sich neue suchen, weil sie nicht angenommen und gesehen werden. Unsere Kinder sind abhängig. Von uns. Davon, dass wir es gut meinen mit ihnen und „JA“ zu ihnen sagen.

Wenn unser „JA“ von Herzen kommt, vergeben wir uns nichts damit. Unsere Kinder aber brauchen es ganz dringend. Nicht zu jedem einzelnen Wunsch, aber generell zu ihrer Person.

Unsere Kinder profitieren von einem aufrichtigen „JA“. Wir stärken damit ihren Selbstwert und zeigen ihnen, dass wir sie annehmen: mit ihren Macken und Launen, in ihren Bedürfnissen, an guten und an weniger guten Tagen.

Ein freundliches „JA“ lässt uns aufblühen und wachsen. Es sorgt dafür, dass wir uns gut und angenommen fühlen. Nicht nur wir, sondern vor allem unsere Kinder brauchen das!

„NEIN“ sagen heißt: Vorbild sein

Und dann gibt es die Eltern, die glauben, immerzu ein „JA“ sagen zu müssen. Sie fürchten, dass ihre Kinder von einem „NEIN“ Schaden nehmen oder in ihrer Entwicklung eingeschränkt werden könnten. Sie wollen ihre Kinder nicht traurig machen oder die authentische Reaktion ihrer Kinder auf ein „NEIN“  aushalten müssen. Sie fühlen sich häufig verpflichtet, sich immer und um jeden Preis das „NEIN“ zu verkneifen.

Oft sind das gerade die Eltern, die in der Erziehung ihrer Kinder alles besonders gut oder „alles anders / besser“ machen wollen, als ihre Elterngeneration.

Dabei ist auch das „NEIN“ ein Wort, das unsere Kinder dringend brauchen. Nicht um des Neins willen. Ich halte nichts davon, Kindern künstlich Grenzen zu setzen, nur weil man das eben so macht.

Das „NEIN“ ist deswegen so unerlässlich, weil wir damit „JA“ sagen zu uns selbst, zu unseren eigenen Bedürfnissen oder Grenzen. Das ist nicht nur für uns wichtig, sondern auch für unsere Kinder. Kinder lernen. Immer. Vor allem durch das, was wir ihnen vorleben. Sorgen wir also gut für uns selbst, stehen wir für unsere eigenen Bedürfnisse ein und machen unsere eigenen Grenzen deutlich, sind wir unseren Kindern damit ein gutes Vorbild.

So profitieren Kinder durchaus, wenn wir „NEIN“ sagen, weil wir nicht das dritte mal in Folge das selbe Buch lesen oder aber in Ruhe aufessen wollen, weil wir keine Lust haben, spätabends noch mal auf den Spielplatz oder in die Eisdiele zu gehen.

Ein „NEIN“ ist auch wichtig, wenn wir damit „JA“ zu unseren Überzeugungen sagen. Wir müssen uns und unsere innere Haltung nicht komplett verbiegen, nur weil wir Eltern sind. Wir können weiter zu dem stehen, was uns ausmacht. Ich muss keine Flugmangos für meine Kinder kaufen, wenn das Ganze mein ökologisches Gewissen überstrapaziert. Und ich muss meiner Neunjährigen auch keinen knallroten Lippenstift kaufen, wenn mir das Ganze Bauchschmerzen bereitet.

Ein „NEIN“ kann auch wichtig sein, wenn ein „JA“ unser Budget überstrapaziert. Gestern zum Beispiel stand der Kleinkindmensch vorm Juwelier, zeigte auf eine im Fenster liegende Rolex und kommentierte das Ganze mit „die da kaufen bitte“. So gern ich dem Kleinkindmenschen seinen Wunsch erfüllt hätte: die Uhr lag preislich einfach deutlich jenseits dessen, was mein Kontostand hergegeben hätte.

„JA“ und „NEIN“ gehören beide zu einem gesunden Aufwachsen mit dazu. Weil es essentiell wichtig ist, angenommen, gesehen und geliebt zu werden. Und weil Eltern, Geschwister oder andere Menschen im Umfeld unserer Kinder ebenfalls Bedürfnisse haben, für die sie eintreten. Entscheidend ist, wie wir „JA“ und „NEIN“ sagen.

2016-07-23 15.06.13

Im hiesigen Einkaufszentrum gibt es drei Eisdielen. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, beim Einkaufen nicht an einem dieser Eisläden vorbei zu laufen.

Natürlich könnte ich aus Angst vor einem Konflikt, bewusst Umwege gehen. So kämen meine Kinder gar nicht erst in die Nähe eines Eisladens. Das wäre auf Dauer aber kontraproduktiv. Irgendwann erreichen Kinder ein Alter, in dem sie von der Existenz der Eisdielen wissen – auch, wenn wir uns nicht unmittelbar in deren Nähe befinden. Der Konflikt ist also nur aufgeschoben. Außerdem signalisiere ich meinen Kindern damit: ich bin nicht bereit, mich auf einer ehrlichen und authentischen Weise mit euren Wünschen auseinanderzusetzen. Konfliktvermeidung funktioniert für einen kurzen Augenblick. Als Dauerlösung ist das nichts.

Ich könnte auch behaupten, kein Geld einstecken zu haben. Das wäre aber nicht nur konfliktscheu, sondern in den allermeisten Fällen auch noch gelogen. Ich erspare mir mit dieser Ausrede vielleicht eine Auseinandersetzung mit den Kindern, schädige auf Dauer mit meiner Lüge aber unsere Beziehung – also auch keine Lösung.

Ich kann meine Kinder im Normalfall auch nicht mit der Aussicht auf ein selbstgemachtes (und daher zahnfreundlicheres) Fruchteis zu Hause zufrieden stellen, auf das sie noch eine halbe Stunde warten müssen. Das Eis wollen sie JETZT. Und in der Geschmacksrichtung, in der sie es haben wollen. Punkt.

Das sind die Fakten, mit denen ich als Mutter umgehen muss.

Was also tun, wenn ich mehrfach täglich an mindestens einem dieser Eisläden vorbei gehe und meine Kinder sich ein Eis wünschen?

Authentisch bleiben

Letztendlich können wir uns zwischen zwei Optionen entscheiden:

Wir sagen „JA“ zum Wunsch unserer Kinder – und kaufen ihnen ein Eis.

Das dann aber bitte nicht zähneknirschend und mit der inneren Überzeugung: „eigentlich solltest du das aber nicht wollen“ oder „eigentlich hätte ich doch lieber nein gesagt“. Wenn wir „JA“ sagen zu unseren Kindern, dann sollen wir auch ein „JA“ meinen. Kein „JEIN“ und auch kein „JA, ABER“. Einmal abgesehen davon, dass Kinder ganz schlecht mit wenig authentischen Erwachsenen umgehen können: das Eis schmeckt einfach nicht, wenn jemand missgünstig daneben sitzt. Wenn wir also „JA“ sagen und ein Eis kaufen, dann sollten wir unseren Kindern das Eis auch gönnen.

Wir können genauso aber auch ein „NEIN“ sagen – und unseren Kindern mitteilen, dass wir kein Eis kaufen wollen. Mehr braucht es nicht. Es braucht kein „aber du hattest doch erst…“, kein: „aber deine Zähne!“, kein: „immer willst du nur!“

Wir müssen das Bedürfnis unserer Kinder nach einem Eis nicht weg reden. Wir können es ernst nehmen – und trotzdem „NEIN“ sagen. Dann müssen wir aushalten, dass unsere Kinder (verständlicherweise!) Frust erleben und diesen (je nach Temperament, Tagesverfassung und Alter) mehr oder weniger lautstark äußern. Unsere Kinder dürfen es blöd finden, wenn wir „NEIN“ zu ihnen sagen. Das ist ihr gutes Recht und Selbstbestimmung über die eigenen Gefühle.

Wichtig ist also nicht nur, dass wir unsere Kinder in ihren Bedürfnissen und Wünschen sehen und sie ernst nehmen. Wir Eltern müssen auch mit uns selbst im Reinen sein. So sehr unsere Kinder von einem klaren „JA“ profitieren, so sehr ist ein ambivalentes „JA“, hinter dem ein verstecktes „NEIN“ sitzt, Gift für sie. Unsere Kinder spüren das, was unausgesprochen dahinter steht und mitschwingt – können es aber nicht greifen. Das schmälert nicht nur unsere Glaubwürdigkeit und Authentizität, sondern verwirrt auch unsere Kinder. Die reagieren häufig kompetent und wollen uns Eltern zu einem klareren Standpunkt verhelfen. Nicht selten geschieht das durch unangepasstes Verhalten – und sei es, dass plötzlich statt dem kleinen Finger „die ganze Hand“ gewollt wird und unsere Kinder die fünfte Kugel Eis einfordern, um endlich authentisch das hören zu können, was wir uns zähneknirschend nur denken.

Letztendlich ist das mit dem „JA“ und dem „NEIN“ gar kein Hexenwerk. Beides sind weder Wörter, die wir ausschließlich verwenden, noch um jeden Preis vermeiden sollten.

Sagen wir einfach „JA“, wenn wir „JA“ meinen.

Sagen wir „NEIN“, wenn wir „NEIN“ meinen.

Wenn wir uns unsicher sind, können wir uns Bedenkzeit nehmen und unsere Unsicherheit äußern. Wir können aufs Kind schauen und uns überlegen, wie wichtig das „JA“ fürs Kind oder das „NEIN“ für uns selbst ist.

Egal wie wir uns entscheiden: so lange wir authentisch sind und mit unserer Entscheidung die Integrität unsere Kinder achten, werden diese mit beiden Entscheidungsoptionen leben können.

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